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Schlüter, Niehaus, Schröder (Hrsg.): Examensklausurenkurs im Zivil-, Straf- und Öffentlichen Recht, 2. Auflage 2015, 425 S., 25,99 € (C.F. Müller)

Am Ende des juristischen Studiums zählt eins: Die Examensnote. Es entscheidet maßgeblich über Beruf und Gehalt. Das mag man kritisieren, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese eine Punktzahl über die berufliche Zukunft entscheidet. Ein Vollbefriedigend ist möglich. Erst recht, wenn man das Examen ernst nimmt und sich so auf die Prüfungen vorbereitet, wie es seine Bedeutung erfordert. 

Die einzig richtige Vorbereitung gibt es nicht. Die eigenständige Fallbearbeitung nimmt aber stets einen hohen Stellenwert ein. Jura kann man nur lernen, wenn man regelmäßig Fälle löst. Und zwar Fälle auf Examensniveau. Wer das vor dem Examen nicht verstanden hat, der wird voraussichtlich scheitern. Genau das will der vorliegende Examensklausurenkurs aus dem C.F. Müller Verlag verhindern. Der Kreis der Klausursteller umfasst junge Wissenschaftler, Hochschullehrer und Praktiker aus Justiz und Verwaltung. 

Wichtiger Hinweis: Angesichts der Tatsache, dass in Mannheim zuerst die Examensklausuren im Zivilrecht abgelegt werden, konzentriert sich diese Rezension auf die Klausuren im Zivilrecht.

Kritik

Ein großes Manko auf dem Markt der juristischen Ausbildungsliteratur ist, dass es wenige Fallbücher auf Examensniveau gibt. Deshalb sollte man zunächst über jedes Werk dankbar sein, welches diese Lücke schließen möchte. 

Der Klausurenkurs beinhaltet 25 Fälle. Neun aus dem Zivilrecht, ebenfalls neun aus dem Öffentlichen Recht und sieben aus dem Strafrecht. Jedem Fall folgt eine ausführliche Musterlösung. Dazu vermitteln graphisch hervorgehobene didaktische Hinweise warum bestimmte Darstellungsweisen gewählt und manche Überlegungen nicht in das Gutachten aufgenommen wurden. Am Anfang des Buches findet sich eine mehrseitige Einführung zur erfolgreichen Bearbeitung einer Examensklausur. 

Eigentlich ein ziemliches gut überlegtes und ausgearbeitetes Konzept. Das Problem ist aber, dass die Falllösungen teilweise unvollständig sind und manche Lösung umständlich aufgebaut ist. Folgende exemplarische Beispiele sollen das erläutern: 

- Fall 2: Fall 2 beschäftigt sich unter anderem mit der Selbstvornahme des Käufers ohne Fristsetzung im Kaufrecht. Hier fehlen mehrere in Frage kommende Anspruchsgrundlagen des Käufers auf Ersatz seiner Aufwendungen. Es fehlt ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 BGB und ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Vgl. Zurth JA 2014 494, 495 ff.; Müller ZJS 2012, 444, 445 ff.). Der Anspruch aus §§ 280, 283 BGB scheitert am fehlenden Verschulden des Verkäufers. Den Aufwendungsersatzanspruch aus der Geschäftsführung ohne Auftrag kann man bereits an der Fremdheit des Geschäfts scheitern lassen, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass erst durch das Verlangen der Mängelbeseitigung durch den Käufer die Mängelbeseitigung zu einem zumindest auch-fremden Geschäft des Verkäufers wird (wie es der Wortlaut von 437 Nr. 1 BGB fordert). Man könnte auch auf den abschließenden Charakter des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts verweisen und damit die Geschäftsführung ohne Auftrag für nicht anwendbar erklären. Spätestens würde der Anspruch aber am Willen und Interesse des Geschäftsherrn scheitern, weil dieser durch die Selbstvornahme sein Recht zur zweiten Andienung verliert. 

- Fall 3: Fall 3 beschäftigt sich mit der Frage, welche Ersatzansprüche der Mieter nach der Vornahme von Schönheitsreparaturen aufgrund einer nichtigen Klausel hat. Der Autor spricht hier zunächst alle in Frage kommenden Anspruchsgrundlagen an. Anstatt aber wie die hM (vgl. nur die Nachweise bei Wandt Gesetzliche Schuldverhältnisse S. 21) den Fall über das Bereicherungsrecht zu lösen (§§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II BGB), baut der Ersteller die Lösung über einen Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag auf. Das ist zunächst nicht falsch, für das Examenstraining aber ungeeignet. Denn die Lösungskizze einer Examensklausur wird in der Regel auf die Lösung der hM aufbauen. Konsequenterweise sollte auch die Lösungsskizze einer Fallbearbeitung zum Examenstraining auf die Lösung der hM aufbauen.

Zudem beantwortet der Autor nicht die Frage, ob schon die Pflicht zum Streichen der Wohnung in hellen Farben nach Auszug einen Rechtsgrund im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung darstellt. Zumindest auf S.60 (grauer Kasten) wird diese Pflicht angesprochen, meines Erachtens aber vor dem Hintergrund der weitreichenden Folgen (alle Ansprüche gehen ins Leere) nicht hinreichend tief erörtert. Eine solche Pflicht des Mieters kann, falls entsprechende ausdrückliche Absprachen fehlen, aus der interessengerechten Auslegung des Mietvertrages hergeleitet werden (BGH NJW 2014, 143).  Die Unwirksamkeit der Schönheitsreparatur-Klausel hätte auf diese Pflicht keine Auswirkung, da es sich um zwei unterschiedliche Pflichten handelt. Die Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparatur wälzt Pflichten des Vermieters aus § 535 I 2 BGB auf den Mieter ab. Die Pflicht zur Entfernung von nicht neutralen Farben ist dagegen eine davon unabhängige eigenständige Pflicht des Mieters zur Rücksichtnahme aus § 535, 241 II BGB (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl § 546 Rn. 50). Bejaht man eine solche Pflicht, so würde sowohl ein Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo, ein Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag und ein Bereicherungsanspruch aus §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 II BGB scheitern. Dem Mieter stünde kein Schadensersatzanspruch zu, da er keinen Schaden erlitten hätte. Schließlich wäre er auch bei vertragsgemäßen Verhalten des Vermieters zur Beseitigung der Farbe verpflichtet gewesen und hätte die gleichen Kosten erlitten. Für die Geschäftsführung ohne Auftrag würde es an der Fremdheit des Geschäfts fehlen, weil die Beseitigung nur die Erfüllung einer mietereigenen Pflicht aus § 241 II BGB wäre. Ein Wertersatzanspruch aus dem Bereicherungsrecht ginge ins Leere, da ein Rechtsgrund für die Leistung vorläge.  

- Fall 5: Der Wortlaut der zentralen Norm des § 86 VVG sollte unterhalb des Sachverhalts abgedruckt werden, da die Kenntnis von dieser Norm spezielle versicherungsrechtliche Kenntnisse erfordert, welche von einem Studenten nicht erwartet werden können. Zudem ist zumindest das Anprüfen eines vertraglichen Anspruchs des Käufers gegen den Hersteller entgegen der Ansicht der Autoren nicht lebensfremd. Ein solcher vertraglicher Anspruch des Käufers auf Schadensersatz bei Verletzung durch ein fehlerhaftes Produkt könnte sich im Wege eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben (Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Hersteller). Dieser ist im Ergebnis zu verneinen, aber kurz anprüfen sollte man ihn auf jeden Fall. Eine solche Prüfung wäre nicht lebensfremd, sondern ein Beleg für juristisches Problembewusstsein.

- Fall 6: In der Lösung von der Abwandlung von Fall 6 fehlt ein Schadensersatzanspruch des Käufers aus vorvertraglicher Pflichtverletzung aus § 280 I, 311 II Nr. 3, 241 II BGB auf Rückzahlung des Kaufpreises. Dieser wäre aufgrund der Arglist des Verkäufers auch nicht wegen Vorrang des Kaufrechts gesperrt. Im Ergebnis würde ein solcher Schadensersatzanspruch zur Kaufpreisrückzahlung im Rahmen des Schadensersatzes führen, da der Käufer bei ordnungsgemäßer Aufklärung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Vertrag geschlossen und damit auch keinen Kaufpreis bezahlt hätte. 

Abschließendes Urteil 

Der Klausurenkurs hat Potential, leidet aber noch unter Kinderkrankheiten. Die Falllösungen sind teils unvollständig und manchmal umständlich aufgebaut. Werden diese Mängel in der dritten Auflage behoben, kann dieser Klausurenkurs empfohlen werden.

David van Koppen


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