Haller/Conzen: Das Strafverfahren – Eine systematische Darstellung mit Originalakte und Fallbeispielen, 8. Auflage 2018, 626 Seiten, 36,99€ (C.F. Müller Verlag)
Das Buch von Haller/Conzen richtet sich an Referendar und junge Assessoren und soll diese mit den grundlegenden Prinzipien, den verschiedenen Verfahrensstadien sowie Problemen und Tücken des Strafverfahrens bekannt machen. Die Bedeutung der Kenntnis der Einzelheiten zum Strafverfahren für die Referendarsausbildung – sowohl im Hinblick auf die Station als auch den praktischen Teil – und für Richter oder Strafverteidiger braucht wohl nicht lange hergeleitet werden: Sie ist extrem hoch.
Der Autor Haller ist Vorsitzender Richter am Landgericht Bonn, der Autor Conzen ist Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Köln.
Kritik
Der Aufbau ist im Grundsatz chronologisch anhand einer Originalakte gewählt. Nachdem zunächst Grundlagen des Strafverfahrens vorangestellt wurden, folgen Abschnitte zum Ermittlungsverfahren, dem gerichtlichen Verfahren in erster Instanz, der gerichtlichen Beweisaufnahme, dem Urteil in der Tatsacheninstanz, zu besonderen erstinstanzliche Verfahrensarten, den Rechtsmitteln sowie schließlich zu den Zwangsmitteln zur Sachaufklärung und Verfahrenssicherung. Im Grundsatz ist dieser Aufbau überzeugend. Der Aufbau ermöglicht, den Leser einmal durch das komplette Strafverfahren zu führen, so dass auch das Bewusstsein dafür geschärft wird, welche Fragen an welcher Stelle des Strafverfahrens relevant werden. Wieso jedoch die Fragen zu „Zwangsmitteln zur Sachverhaltsaufklärung“ erst gesondert ganz am Schluss behandelt werden, ist nicht ersichtlich. Hier werden fast ausnahmslos Fragen behandelt, die im Ermittlungsverfahren (das erste Mal) relevant werden und von entsprechend hoher (Klausur-)Bedeutung sind. Sie hätten dort deutlich eher einen überzeugenden Platz gefunden.
Wie der Untertitel des Werkes bereits verrät, wird das Strafverfahren anhand einer Beispielsakte dargestellt. Immer wieder tauchen Originalaktenbestandteile auf, die aufgrund einer grauen Hervorhebung auch besonders leicht aufzufinden sind. Es werden hier nicht nur einzelne staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche Entscheidungen dargestellt, sondern auch weitere Aktenbestandteile wie Blutentnahmeprotokolle, Hauptverhandlungsprotokolle usw. Das ist gerade für den Anfänger sicher hilfreich, um ein „Gefühl“ dafür zu bekommen, wie die Praxis diesbezüglich aussieht. Die Beispiels-Entscheidungen, die abgedruckt sind, sind nicht als allumfassende Muster für die eigene Anwendung zu verstehen, machen die entsprechenden theoretischen Darstellungen aber greifbar und können zumindest als Orientierungshilfe herangezogen werden. Auf bestehende regionale Besonderheiten wird aber nur sehr begrenzt hingewiesen, so dass es für die Examensvorbereitung (und auch für Praktiker) außerhalb von NRW unabdingbar ist, sich noch an anderer Stelle mit den (Aufbau-)Besonderheiten im eigenen Bundesland umfassend vertraut zu machen.
Aus thematischer Sicht ist das Werk umfassend. Insbesondere Referendarinnen und Referendaren dürfte gefallen, dass – anders als bei einigen anderen Lehrbüchern – auch das Revisionsverfahren recht umfangreich dargestellt ist. Auch zu den einzelnen Themen bleiben nur selten Fragen offen. Sicher dürfte es den wenigsten Referendaren gelingen, die über 600 Seiten an einer Stelle ihres Referendariats am Stück durchzuarbeiten, dafür kann das Werk genutzt werden, um sich stückweise einzelne Verfahrensabschnitte genauer zu Gemüte zu führen. Dabei wird allerdings an vielen Stellen nicht zwischen besonderer Klausurrelevanz und Praxisrelevanz unterschieden, was sicherlich daran liegt, dass sich das Lehrbuch neben Referendaren auch an junge Assessoren richtet. Alles in allem dürfte sich das Lehrbuch weniger für die knappe Wiederholung vor dem Examen eignen, sondern vielmehr als Nachschlagewerk und als umfassende Darstellung für - auch über den unmittelbaren Klausurenstoff hinaus interessierten - Referendar dienen.
Abschließendes Urteil
Wenn man diesen Zweck des Buches berücksichtigt, ist man mit ihm gut beraten. Man merkt den Autoren die jahrelange Praxiserfahrung an. Die rund 600 Seiten erscheinen auf den ersten Blick sehr viel. Gleichwohl schweifen die Autoren niemals vom Thema ab, sondern bringen die einzelnen Themen ganz überwiegend klar auf den Punkt. Die Seitenzahl dürfte eher der Tatsache geschuldet sein, dass sich das Buch allen relevanten Aspekten des Strafverfahrens von verschiedenen Seiten nähert und erläutert. Der Preis von 37€ erscheint im Vergleich zu anderen Lehrbüchern eher hoch, allerdings noch nicht überhöht.
Felix Sperrle