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Thorsten Ingo Schmidt: Fallrepetitorium Allgemeines Verwaltungsrecht mit VwGO, 3. Auflage 2020, 450 Seiten, 37,00 Euro (C.F. Müller)

Das Allgemeine Verwaltungsrecht und die Verwaltungsgerichtsordnung sind Prüfungsgegenstand beider Staatsexamina. Das vorliegende Fallrepetitorium behandelt anhand von etwa 800 kurzen Fällen die examensrelevanten Fragen und Probleme beider Rechtsgebiete. Erklärtes Ziel ist es, ein Lern- und Wiederholungsinstrument für Studenten und Referendare in der Examensvorbereitung zu sein.

Thorsten Ingo Schmidt ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam.

Kritik

Das Fallrepetitorium ist in zwei große Bereiche aufgeteilt, dem Allgemeinen Verwaltungsrecht und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Schwerpunkt im Allgemeinen Verwaltungsrecht sind die Handlungsformen des Verwaltungsrecht, insbesondere Verwaltungsakte, Realakte, der öffentlich-rechtliche Vertrag, die Satzung und Rechtsverordnung. Wenig Raum nehmen das Verwaltungszustellungs- und Verwaltungsvollstreckungsrecht ein. Zwischen Allgemeinen Verwaltungsrecht und dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren finden sich Fälle zum Staatshaftungsrecht. Im Teil zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren werden alle Klagearten und Entscheidungsarten behandelt. Das Werk schließt mit Fällen zu den Rechtsbehelfen gegen gerichtliche Entscheidungen ab. Es ist durchweg mit zahlreichen Literaturnachweisen und Übersichten angereichert. 

Die Fälle werden vom Autor in vier unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufgeteilt (in aufsteigender Reihenfolge: Grundlagen - etwas schwierigere Fälle für Studenten - Fälle für Referendare - kompliziertere, entlegenere Probleme). Und da beginnt schon das erste Problem. Meines Erachtens gelingt diese Einordnung häufig nicht. Folgende Fälle sollen als Beispiele dienen:

- Fall 146

Hier geht es um die fiktive Bekanntgabe eines Verkehrsschildes, also die allzu bekannte Problematik, wann ein Verkehrsschild denn nun als bekannt gegeben gilt und wie kostenrechtlich eine Abschleppmaßnahme zu behandeln ist, wenn das Verkehrsschild erst nach Abstellen des Fahrzeugs in Unkenntnis des Betroffenen aufgestellt worden ist. Für beide Examina und Zwischenprüfungen höchst relevant. Der Fall wird aber verwirrenderweise in die dritten Kategorie eingeordnet, also als Fall für Referendare. 

-  Fall 167

Behandelt werden grundlegende Fragen zur Nichtigkeit von Verwaltungsakten. Das ist Thema der Grundlagenvorlesung zum Verwaltungsrecht in den ersten Semestern. Dieser Fall wird aber wiederum als Fall für Referendare eingeordnet.

- Fälle 279, 280 und 282

Diese Fälle widmen sich dem öffentlichen Sachenrecht. Unterfrage c) von Frage 279, Unterfragen c) und d) zu Frage 280 sowie Fall 282 dürften allenfalls entferntere Probleme darstellen. Sie werden aber bereits unter die zweite Kategorie eingeordnet, also etwas schwierigere Fälle für Studenten.

Mein Vorschlag ist folgender: 

Anstatt in obigen Untergliederung werden allein solche Fälle gekennzeichnet, die tatsächlich nur entlegenere Probleme behandeln. So wird vermieden, dass es bei der Unterteilung von Studien- und Referendarwissen zu kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen kommt. Ohnehin sind diese, was das materielle Recht angeht, zu großen Teilen deckungsgleich.

Im Übrigen ist die Themenauswahl im großen Ausmaße gelungen. Allenfalls zu einzelnen Themen hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht. Beispielsweise hinsichtlich den Problemen zu den Nebenbestimmungen hätte ich gerne zur Wiederholung noch einen Fall zu der materiellen Teilbarkeit im Rahmen von § 113 VwGO bearbeitet. 

Auch die Lösungen sind in ihrer großen Mehrheit nachvollziehbar. Auch hier bleibt negative Kritik nur punktuell:

- Fall 68 a)

In diesem Fall macht Nachbar N die Behörde auf A aufmerksam, welcher sein Grundstück entgegen baurechtlichen Bestimmungen nutzt. Die Behörde prüft nun ein Vorgehen gegen A. Die Frage ist, wie A im Rahmen des § 13 VwVfG einzuordnen ist. Der Autor wendet hier die Vorschrift des § 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG an.

Diese Lösung dürfte jedenfalls nicht der herrschenden Meinung entsprechen. A ist wird vielmehr als Beteiligter im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu behandeln sein, denn gegen ihn soll sich die begehrte Nutzungsuntersagung richten (Kopp/Ramsauer, 20. Aufl. 2019, § 13 VwVfG Rn. 21 f.).

- Fall 181

Dieser Fall behandelt die gerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruch bei Rücknahme eines Verwaltungsaktes gemäß § 48 Abs. 3 S. 4 VwVfG. Hier ist die Lösung zumindest ungenau. So wird ausgeführt, dass der Betroffene seine Rechte mittels einer Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht geltend machen müsse. Genauer wäre es davon zu sprechen, der Kläger müsse seinen Entschädigungsanspruch per Verpflichtungsklage geltend machen. Denn der Entschädigungsanspruch nach § 48 Abs. 3 S. 4 VwVfG wird durch Verwaltungsakt festgesetzt (Kopp/Ramsauer, 20. Aufl. 2019, § 48 VwVfG Rn. 144). 

- Fall 199 b)

Hier wird gefragt, ob ein verwaltungsrechtlicher Vertrag der Schriftform genügt, wenn ein Vertragsteil die Vertragsurkunde aufsetzt, unterschreibt und dem anderen Vertragsteil übersendet, worauf dieser dem Absender zurückschreibt, er mit dem Vertrag einverstanden.

Die Lösung erachtet die Schriftform wegen § 126 Abs. 2 S. 2 BGB i.V.m. § 62 VwVfG als eingehalten. Das dürfte nicht korrekt sein. Die Bestimmung in § 126 Abs. 2 S. 2 betrifft nur den Fall, dass von einer Urkunde mehrere inhaltlich identische Ausführungen erstellt worden sind. In diesem Fall ist es ausreichend, wenn jede Partei nur das für den jeweils anderen Teil bestimmte Urkundenexemplar unterschreibt (Wendtland in BeckOK, BGB, Stand: 01.11.2020 § 126 BGB Rn. 15). Es gibt dann zwei Urkunden mit dem gleichen Inhalt, aber jeweils nur mit einer Unterschrift einer Partei. 

Im vorliegenden Fall fehlt es aber an dem zweiten Urkundenexemplar mit gleichen Inhalt wie das ursprüngliche Schreiben. Vielmehr ist nach dem Sachverhalt davon auszugehen, dass der Empfänger dem Absender lediglich ein einfaches Schreiben mit seinem Einverständnis zukommen lässt. Dann ist die notwendige Schriftform nicht eingehalten. Denn die Unterzeichnung des Angebots durch die eine Partei und die Annahme in einer weiteren Urkunde durch die andere Partei reicht nicht aus, da keine der beiden Urkunden die ganze, von beiden Parteien unterschriftlich vollzogene Vereinbarung enthält (BGH, Urteil vom 28.10.1993 - VII ZR 192/92, NJW-RR 1994, 280, 281).

- Fall 295 g)

Hier entkommt ein Tier eines Landwirtes aus einem Schlachthof. Das Vertragsverhältnis ist öffentlich-rechtlich organisiert. Gefragt wird nach den Schadenersatzansprüchen. Die Lösung wendet hier §§ 280, 281 BGB analog hinsichtlich des Ersatzes des entkommenen Tieres an. Richtigerweise müsste sich die Schadensabwicklung nach § 280, 241 Abs. 2 BGB analog richten. 

Abschließendes Urteil

Das Fallrepetitorium ist weit überwiegend gelungen. Die Kritik bleibt auf wenige Punkte beschränkt. Die Fälle sind in der Regel von keinem allzu hohem Schwierigkeitsgrad, eignen sich aber gerade auch deshalb gut zur Wiederholung und Auffrischung. Der Preis von knapp 40 Euro ist angemessen.

David van Koppen

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