Das Zivilprozessrecht wird zwar im Studium angeschnitten, echte Bedeutung kommt diesem Rechtsgebiet aber erst im Referendariat zu. Absolventen der ersten Staatsprüfung gehen deshalb in der Regel mit einem diffusen (Halb-)Wissen über die Zivilprozessordnung ins Referendariat. Das liegt insbesondere auch daran, dass die Zivilprozessordnung auf praktische Fälle ausgelegt ist, deren Sachverhalte eben noch nicht feststehen, sondern erst festgestellt werden müssen.
"Zivilprozess" von Kurt Schellhammer ist ein umfangreiches und aktuelles Werk zum gesamten Erkenntnisverfahren der Zivilprozessordnung. Schellhammer ist ein Altmeister des Zivilprozessrechts und ehemaliger Präsident des Landgerichts Konstanz.
Kritik
Die Rezensionen zu diesem Werk sind beeindruckend. Es wird ausnahmslos gelobt, insbesondere für seine klare Sprache und Struktur, die nicht sperrig und kompliziert rüber kommt, sondern beim ersten Lesen verstanden werden will. Dieser Eindruck hat sich bei der Durcharbeit der rund 900 Seiten Inhalt mehr als bestätigt. Schellhammer versteht es seine Gedanken klar zu formulieren, den Leser an die Hand zu nehmen und Kompliziertes in seine einzelne Bestandteile aufzuteilen, sodass man sich nicht in den Ausführungen verliert. Jeder, der einmal seine Gedanken für Dritte verständlich zu Papier bringen musste, weiß, wie schwierig einfache und klare Sprache ist. Schellhammer gelingt das in eindrucksvoller Art und Weise auf nahezu jeder Seite.
Zum Aufbau: Das Werk stellt auf seinen ersten 700 Seiten den Verlauf eines Art Standardprozesses vor dem Landgericht dar und geht dabei aber auch bereits auf die Berufung und Revision ein. Danach werden die Abweichungen vom "Normalprozess" besprochen. Das sind zum Beispiel das Versäumnisurteil, die Streitverkündung oder der Prozessstillstand. Als letztes geht Schellhammer auf besondere Verfahren ein. Darunter fallen neben dem Amtsgerichtsprozess beispielsweise die Prozesskostenhilfe oder das Mahnverfahren. Am Ende finden sich noch Ausführungen zum einstweiligen Rechtsschutz. Auf Fragen der Zwangsvollstreckung wird nur am Rande eingegangen.
Wie es sich für ein modernes Lehrbuch gehört wird die Darstellung um zahlreiche Beispiele, Schemata und Fälle ergänzt. Das ist sehr hilfreich. Zwar schreibt Schellhammer bereits sehr anschaulich, die Beispiele und Fälle machen die Ausführungen dennoch noch ein Stück weit lebendiger und verständlicher.
Anlass zur Kritik gibt es kaum. Es fallen lediglich an einzelnen Stellen Ungenauigkeiten auf. Das ist jedoch bei über 900 Seiten an Inhalt kaum vermeidbar. So wäre es beim vorletzten Beispiel in Rn. 992 hilfreich gewesen, zu erwähnen, dass die Mitarbeiterin des Gerichts die Rechtsmittelschrift nach Übergabe wieder an die Rechtsanwaltsgehilfin zurückgegeben hatte, weswegen die Schrift nicht endgültig in das Gewahrsam des Rechtsmittelgerichts gelangte. Weiterhin wäre es in Rn. 1034 geboten gewesen, auf die gegenteilige Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht erst in der entsprechenden Fußnote hinzuweisen, sondern bereits im Fließtext. Das alles sind aber beispielhafte Einzelfälle, die den gelungen Eindruck nicht ernsthaft erschüttern können.
Das Lehrbuch ist im Ergebnis eher zum Nachschlagen von Einzelproblemen als zur Klausurvorbereitung im Referendariat geeignet. Dazu eignen sich die Skripten von Kaiser ("Die Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen Band 1 und 2") und das Lehrbuch von Anders/Gehle ("Das Assessorexamen im Zivilrecht") deutlich besser. Denn diese sind nahezu komplett auf die Klausurvorbereitung ausgerichtet, erklären also die gängigen Klausurprobleme im Detail, während Schellhammer eben eine komplette Darstellung des Erkenntnisverfahrens beabsichtigt und keine Klausurvorbereitung im Blick hat. Deshalb fehlen hier längere Formulierungsbeispiele und tiefergehende Erörterungen zum Aufbau von Tatbestand und Entscheidungsgründen in den gängigen Klausurkonstellationen. Gerade das ist aber für eine erfolgreiche Vorbereitung auf anstehende Klausuren unerlässlich.
Schellhammer erläutert das Zivilprozessrecht praxisnah, anschaulich und lebendig. Er findet eine klare und verständliche Sprache. Das Werk eignet sich sowohl als Lehrbuch als auch Ratgeber für die Praxis. Es orientiert sich nahezu vollständig an der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verschont den Leser mit theoretischen Ausführungen, die für die Lehre zwar stiftend sein können, für die Praxis aber untauglich sind. Eine uneingeschränkte Empfehlung, sofern nicht als einziges Lehrbuch für die Vorbereitung auf die Klausuren des zweiten Staatsexamens verwendet wird!